Wiegenden Schrittes durch die Altstadt

Kurz vor Ostern präsentiert sich der Stiefelabsatz in besonderer Feststimmung. Prozessionen prägen das Bild in den Städten und Dörfern – bis zu 14 Stunden und mehr dauern die Bußmärsche durch die engen Gassen des Centro Storico. Und die Menschen, ob jung oder alt, verfolgen aufmerksam und andächtig jeden Schritt.

Die Abendsonne verleiht der Altstadt von Gallipoli romantisches Flair. An den Kaimauern stehen Hunderte – Frauen mit Kindern, ältere Männer, Gruppen von Jugendlichen, ganze Familien. Sie blicken gebannt auf die Eingangspforte der Chiesa Del Carmine – erwartungsvolle Spannung liegt in der Luft. Das Blasorchester spielt die ersten Klänge des Trauermarsches. Langsam erscheinen die ersten penitentis, Kapuzenmänner in rot-blauen Gewändern, ihnen folgen die Träger mit der großen geschnitzten Christusfigur. Wiegenden Schrittes bahnt sich der Zug Zentimeter für Zentimeter durch die Menge der Gläubigen.

Die Prozession zieht durch die engen Gassen der Altstadt

Die Prozession zieht durch die engen Gassen der Altstadt

Aus einer Seitengasse neben der Chiesa erscheint ein weiterer Zug mit einer leidenden Christusfigur – beide Prozessionszüge vereinen sich, dahinter bilden lange Reihen barfüßiger Büßer den Schluss des Zuges. „Dieser Umzug am Karfreitag in Gallipoli gehört zu den beeindruckendsten in ganz Apulien“, sagt Elio Paiano und richtet verzückt sein Kameraobjektiv auf das religiöse Spektakel. Er muss es wissen, seit Jahren berichtet er als Lokalreporter über die Osterprozessionen in seiner Heimat. „Erst morgens früh endet die Prozession“, sagt Paiano, „derweil zieht sie einmal durch die gesamte Stadt.“

Gläubige warten vor der Chiesa

Gläubige warten vor der Chiesa

Auch der Alltag erweist den Prozessionen die notwendige Ehrerbietung. Fleischer, Bäcker, Gemüsehändler oder Kassierer unterbrechen für die kurze Zeit des Vorbeimarschs ihren gewohnten Ablauf. In Arbeitskleidung stehen sie in der Tür ihres Ladens und betrachten staunenden Blickes den Zug – so als sähen sie diesen zum ersten Mal. „Für die meisten ist es jedes Jahr aufs Neue ein bewegendes Ereignis“, erzählt Paiano. Selten werde die Frömmigkeit der Apulier sichtbarer als zur Osterzeit. Und vor allem ist es mehr als eine Art gigantisches Spektakel in einem sonst verschlafenen Ort. In den Gesichtern der Menschen liegt Ehrfurcht und Andacht, selbst bei den jungen Leuten. Diese Prozessionen werden seit Jahrhunderten identisch abgehalten um Buße zu tun. In der Stadt sage man, erklärt Paiano, dass mit dem Beginn der Osterprozessionen die Zeit stillsteht.

Mehrere Männer tragen die Jesusfigur

Mehrere Männer tragen die Jesusfigur

Warum? Was ist das Geheimnis? „Vielleicht sind es einfach nur Frühlingsgefühle“, erzählt der Mann im Cafe am Hafen lächelnd und spielt auf den Duft und die morgendliche Wärme der Aprilsonne an oder die „Aufregung vor einem besonderen Ereignis“ meint ein anderer Gast. Vielleicht, denn fast überzieht den Besucher eine Gänsehaut, wenn die Christusstatue die Kaimauer am Hafen passiert, dort verharrt und der Priester gen Meer gerichtet den Segen verteilt. Nacheinander salutieren die im Hafen liegenden Boote, Kutter und Yachten mit ihren Hörnern, ob mit schrillem oder sonorem Ton. „So holen sich die Seeleute ihren Segen für das nächste Jahr“, weiß Paiano.

Der Prozessionszug lässt den Alltag für einen Moment still stehen

Der Prozessionszug lässt den Alltag für einen Moment still stehen

Kaum ein Tourist, der in der Settimana Santa, der Karwoche, die „schöne Stadt“, griechisch Kalépolis, besucht. Wer die alte Brücke überquert, die die Neustadt von der im Meer schwimmenden Altstadt trennt, gelangt in ein Labyrinth aus eng verschlungenen Gassen, die auf winzige Piazzas münden. „Maßarbeit“, sagt Paiano, „wie die Träger das schwere Gestell mit der Christusstatue um die Kurven lenken“, und er drückt damit aus, was sich jeder Besucher staunend fragt. Hinter den weißgetünchten Häusern verbergen sich üppig geschmückte Innenhöfe und erinnern an arabische Architektur.

Bid zu 14 Stunden kann die Prozession dauern

Bid zu 14 Stunden kann die Prozession dauern


Über allem thront eine Kathedrale – St. Agatha, ein Meisterwerk des Barock, mit ihrer Fassade aus dem gelblichen Tuffstein der Region. Gruppen von Gläubigen kommen dem Besucher entgegen – sie grüßen und lächeln freundlich – man fühlt sich willkommen. „Die Menschen hier sind sehr entspannt und herzlich“, bestätigt der Lokaljournalist.
Büßer mit Kreuz_Gallipoli
Vom Meer her weht eine frische Brise, vereinzelt machen sich ein paar Fischer mit ihren Kuttern aufs Meer – jetzt, wo sie durch den Segen neu gestärkt sind.

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