Wenige reisen nach Aberdeen nur um die Stadt zu besichtigen. Eher fungiert sie als Basisstation für die nah gelegenen Bohrinseln. Doch wer hinfährt und Zeit mitbringt, wird viel entdecken – Delfine zum Beispiel.
Gemächlich und langsam ziehen die Schiffe am „Silver Darling“ vorbei in Richtung Hafen. Andere passieren den Turm mit dem edlen Fischrestaurant in entgegenkommender Richtung und gelangen kurz darauf in die offene Nordsee. Das Meer der kleinen Schornsteine im nahe gelegenen alten Fischerviertel Footdee wirkt bizarr am rötlich schimmernden frühsommerlichen Abendhimmel. Geht der Blick hinaus auf die See tummeln sie sich vor lauter Vorfreude auf einer Linie vor der Küste – die Delfine.
„Hier ist ihr Lieblingsort“, sagt Ian Hay von der East Grampian Coastal Partnership, einer freiwilligen Küstenschutzorganisation. „Sie fangen in dem klaren Wasser Lachse und Meeresforellen und wissen, dass ihnen von den langsamen Schiffen, die den Hafen ansteuern, keinerlei Gefahr droht.“ Hay liebt die „zutraulichen und intelligenten Meeressäuger“ wie seine Stadt. Er ist überzeugt, dass es nirgendwo leichter ist, Delfine zu beobachten als in Aberdeen.
Der drittgrößten Stadt Schottlands, die bisher kaum auf der Agenda von Touristen stand, weiß Beryl Preuschmann, die Berlinerin, die seit vier Jahren für Visit Schottland tätig ist und nun Besuchern „die anderen Seiten Schottlands“ näher bringen will. Zu sehr war die 210.000 Einwohner zählende Küstenstadt im Nordosten des Landes bisher damit beschäftigt, das Kapital auf hoher See zu bergen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es das Öl der Walfangflotten, dann machten in den 1960er Jahren die Off-Shore Ölplattformen in der Nordsee die Stadt wohlhabend. Sie wurde zur Off-Shore Capital of Europe.
Maritime Museum zeigt die Schiffsbautradition
Die vielen Hubschrauber am Flughafen zeugen von der permanenten Flugkette vom Festland zu dem Pattformen und im Hafen liegen die Versorgungsschiffe der Bohrinseln. „Gut 30 bis 40 Jahre wird der Öl-Boom noch dauern“, ist sich Alister Mc Dermott, der Scottish Tourist Guide, sicher und er schreitet in seinem schneidigen Kilt, dem Schottenrock, stolz durch die Stockwerke des Maritime Museums, das dem Besucher ein Bild vom Leben auf den Bohrinseln vermittelt. Und daran erinnert, dass ein Aberdeener Werften auf eine lange Tradition des Schiffsbaus zurückblicken.
Langsam bereite man sich im Nordosten schon auf die Zeit nach dem Öl vor, räumt Alister ein, der voller Zuversicht die Strandpromenade entlang in Richtung des legendären „Beach Ballroom“ spaziert, wo die Stones und die Beatles ihre großen Konzerte gaben. Zu bieten habe Aberdeen genug. Besonders wenn die Sonne die Häuser aus Granit silbrig schimmern lässt. Daher stamme ihr Name – Silver City. Dann erhält die Lebensader der Stadt – die Union Street – mondänen Glanz, dann wirkt das nahezu 100 Meter lange aus Granit erbaute Marischal College geradezu royal und der Merchant Cross, der mittelalterliche Handelsplatz mit seinen Marktständen versprüht fast mediterranes Flair.
„Aberdeen ist auch berühmt wegen seiner vielen Blumen“, sagt Beryl. Schon sechs Mal habe die Küstenstadt den landesweiten Wettbewerb als „Stadt in der Blüte“ gewonnen. Danach durfte sie nicht mehr teilnehmen, zu fortgeschritten war ihr Standard. Tatsächlich sind die überall sprießenden Blumen und Pflanzen ein ständiger Wegbegleiter – kaum ein Platz, eine Verkehrsinsel eine Freifläche, die nicht in phantasievoller Weise bepflanzt ist. Der Gipfel der Blumenpracht ist im Duthie Park, im Botanischen Garten mit seinen hunderten und tausenden verschiedener Pflanzen aus aller Welt zu bewundern. Der dazugehörige Rosenpark gilt als einer der schönsten in ganz Europa und die David Welch Wintergärten, benannt nach dem heimischen Parkarchitekten, „sind mit ihrem Tropenhaus und ihrer breiten Ansammlung südamerikanischer Pflanzen einzigartig“, bestätigt Beryl.
Theke und Zapfanlage statt Altar und Gebetbänke
Zu bewundern sind auch die vielen Kirchen der Stadt. Tritt man mit jener für Gotteshausbesuche üblichen Ehrfurcht hinein, ist es der Barmann, nicht der Geistliche, der den verwirrten Besucher freundlich anlächelt. Statt Ruhe und Andacht füllen Musik und Stimmengewirr das einst weite presbyterianische Kirchenschiff, das jetzt auf mehreren Stockwerken einen belebten Pub beherbergt. Gemütliche Sitznischen nahe des mit Glasmalerei versehenen Kirchenfensters, simulierte Bücherwände, hinter denen sich Toiletten verbergen – für deutsche Besucher höchst ungewohnt, für Schotten eine pragmatische Lösung. „Besser als wenn sie verfallen“, meint Alister trocken-pragmatisch. Bei landesweit weniger als 20 Prozent regelmäßiger Gottesdienstbesucher mutieren die Kirchen daher in Großbritannien seit 2002 zu Pubs – eine Kirche in Sheffield machte damals den Anfang.
Noch eine Verwandlung hat die Silver City durchlebt. In den Cottages von Footdee, der gut 200 Jahre alten Fischersiedlung nähe des Hafens, haben jetzt teils Künstler ihre Heimstatt gefunden. Jedes Haus präsentiert sich in anderem Gewand: mal mit Schiffsaccessoires geschmückt, mal mit Figuren und Zwergen verziert oder mit Pflanzen bedeckt. Statt Netze zu reparieren entwerfen die Bewohner nun Glasmalereien und Ölgemälde. Wie Shelagh Swanson, die vor ihrem Giebelhaus sitzt und die Kollektion für ihre neue Ausstellung plant. „Eine tolle Mischung aus jung und alt lebt hier,“ schwärmt sie über das besondere Klima in der Siedlung während im Hintergrund das Rauschen der Nordsee zu hören ist – die Music of the Sea, wie ein kleines Schild in gälischer Sprache an Shelaghs Haus verkündet.
Mehr Informationen
http://international.visitscotland.com/de/
Restaurant
Seafood Restaurant Silver Darling: North Pier, Pocra Quay, Aberdeen.
Tel: 01 224 576229
http://www.silverdarling.co.uk/
Howies Restaurant: 50 Chapel Street, (just off Union-Street), Aberdeen
Tel: 01 224 639 500
http://ww.howies.uk.com/aberdeen.php
Übernachtung
Aberdeen City Centre Hotel: Belmont Street, AB10 1JR Aberdeen
Tel.: 01 224 658 406