Kuba: Vom Rhythmus gerauchter Zigarren

Kubaner sind Lebenskünstler und die Tabakbauern ganz besonders. In Viñales ticken die Uhren anders – und das steckt an: Eindrücke aus Kubas Westen.

Am Bahnhof von Pinar del Rio herrscht Hochbetrieb – wie jeden Tag, wenn der vollbesetzte Bus die Provinzhauptstadt im Westen Kubas erreicht. Es bleibt kaum Zeit das Gepäck zu suchen, schon umlagert ein Dutzend geschäftiger Männer zwischen 7 und 70 die Reisenden. Sie wollen nur das Beste für ihre Klientel, ein Angebot jagt das nächste. Keine Zeit für lange Entscheidungen. Ein alter Wartburg erhält den Zuschlag. Schnell den Rucksack im Kofferraum verstaut und schon nimmt das betagte Fahrzeug Kurs Richtung Viñales ins Tabakanbaugebiet, Heimat der edlen Havannas. Drei Kubaner eskortieren den Besucher. Sie riskieren Kopf und Kragen bei diesem Transfer: Kubaner dürfen Chauffeurdienste nur mit entsprechender Lizenz ausführen und die ist teuer. Also probieren es die meisten ohne, das Risiko erwischt zu werden ist groß.

Wo der Tabak reift

Casa de tabaco: Wo der Tabak reift

Juan, der ältere, trägt eine Baseballmütze – „das Geschenk eines amerikanischen Touristen“, betont er stolz. Seine raue, sonnengegerbte Haut erzählt von Jahren harter Arbeit auf den Tabakfeldern, die Augen verraten Witz und Charme. Er sprüht vor Neugier, will wissen, wie die Menschen in fernen Ländern leben. Am meisten interessiert ihn das Familienleben. „In Kuba ist die Familie das wichtigste.“ Seine Nichte, erzählt er, habe sich von ihrem Freund getrennt, weil sie sich nicht einigen konnten, wo sie nach der Hochzeit leben werden – bei seinen oder bei ihren Eltern.

Der Wartburg fährt durch eine leicht hügelige Landschaft, sattes grün, wohin das Auge blickt – und immer wieder Königspalmen. Sie ragen majestätisch elegant in den karibischen Himmel hinein und erinnern an die ästhetisch perfekte Haltung der Kubaner, wenn sie Salsa tanzen. Zugleich symbolisieren sie die Kraft und den Stolz der Menschen auf dem Inselstaat.

Autos aus den 50ern prägen das Ortsbild

Autos aus den 1950ern prägen das Straßenbild

Nach wenigen Kilometern stoppt der Viertürer abrupt. Einer der Begleiter will eine Polizeisperre gesichtet haben. Mit den Worten „va andando“, macht Juan dem Fahrgast unmissverständlich klar: Die Reise muss vorerst zu Fuß weitergehen. Nach der Polizeikontrolle nähmen sie ihn wieder auf. Für lange Fragen ist keine Zeit und schon umgibt den Reisenden die Einsamkeit und Stille des kubanischen Westens. Hier entfaltet sich die ganze Schönheit der Landschaft: Tabakfelder und Zuckerrohrplantagen prägen das Bild, vereinzelt sind die kleinen palmgedeckten Holzhütten der Tabakbauern zu sehen. Dazwischen stehen fensterlose Schuppen mit Dächern aus Palmstroh oder aus Blech. Es sind die casas de tabaco, die Trockenschuppen für den Tabak. Hier kochen die Tabakballen tagsüber in ihrem eigenen Hitzedunst und schwitzen ihre Feuchtigkeit aus.

Das Geheimnis der Tabakbauern

In der Ferne werden steil aufragende, schroffe Kegelfelsen sichtbar – die mogotes. Jene älteste geologische Formation Kubas, entstanden vor 150 Millionen Jahren. Auf der kaum befahrenen Straße trifft man immer wieder Menschen: zu Fuß, auf dem Rad oder zu Pferd. Sie grüßen freundlich mit einem Strahlen im Gesicht als wäre man ein alter Bekannter. Sie wirken entspannt, ausgeglichen und viel ruhiger als die Menschen in Havanna. Was ist ihr Geheimnis?

Nach einer scharfen Rechtskurve taucht das Privattaxi wieder auf. Kontrolle überstanden, Glück gehabt. Die Fahrt geht weiter. „Bei Manuel fühlt sich jeder wie zuhause“, verspricht Juan, „gutes Essen, warmes Wasser und nur 15 Dollar die Nacht“. Er erzählt auch, dass die Dorfbewohner fast ausschließlich von den Touristen leben: casas particulares, Privatunterkünfte, paladares, private Restaurants, Chauffeurdienste, Ausflüge und Geschäfte mit Rum und Tabak. „Das funktioniert, weil jeder mitmacht“, sagt er. Das Netzwerk der Leistungen ist lückenlos. Jeder weiß, was der andere zu bieten hat und gegenseitiges Vermitteln und Empfehlen hält alle über Wasser – „so einfach ist das“, sagt Juan.

Auf den Veranden spielt die Musik

Auf den Veranden spielen Salsa und Son

Viñales – kurz vor Sonnenuntergang hebt das gelb-rote Licht die ganze Pracht des kleinen Ortes hervor: Die niedrigen Holzhäuser mit ihren Veranden, die sich entlang der Hauptstraße hinziehen, wirken einladend und lebendig. Selbst die schlichte Dorfkirche aus dem 19. Jahrhundert versprüht Glanz. Chevrolets, Studebaker, alte Chrysler: Oldtimer aus den 1950ern, teils voller Rostflecken, teils aufpoliert rollen gemächlich über die Hauptstraße – Kuba ist ein Museum. Ein paar Musiker packen Bongo, Baß und Gitarre aus und senden die ersten Rhythmen in den jungen Abend, auf den Veranden spielen Männer Domino.

Zigarrenrauchen ist eine Kunst

Was in Viñales wie Feierabendstimmung aussieht, scheint hier den ganzen Tag so zu sein. Zeit für einen mojito – das Nationalgetränk aus frischen Minzblättern, Kokosnusssirup, Eis, Soda und weißem Rum, dazu die verführerischen Klänge von Salsa und Son. Auf der Veranda gegenüber sitzt ein alter Mann in seinem Schaukelstuhl, wippt langsam vor sich hin, genießt das abendliche Treiben, lächelt entspannt und raucht genüsslich. „Zigarrenrauchen ist eine Kunst“, sagt der Barmann, „und in Viñales sind alle Tabakbauern Künstler.“

Manuel ist ein hervorragender Gastgeber, mehr noch: wer bei ihm logiert, wird zum Freund. Er ist Mitte Anfang 50, lächelt warmherzig, und seine ehrlichen braunen Augen enthüllen seinen eigenwilligen Charakter. „Ich bin noch nie aus dem Tal herausgekommen“, bekennt er und doch wirkt er welterfahren und offen. Früher hat er auf den Tabakfeldern gearbeitet, heute lebt er von den Touristen. Er wohnt mit seiner Frau Blanca in einem Haus, das er eigenhändig unter einer Ceiba, auch Kopok- oder Wollbaum genannt, erbaut hat – ein gutes Zeichen, denn dieser Baum galt schon in den indianischen Kulturen als heilig und daran hat sich nichts geändert. „Ein Kubaner würde niemals eine Ceiba fällen“, sagt Manuel, hebt dabei den rechten Zeigefinger und wirft die Stirn in Falten.

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Mogotes, eine über 150 Millionen Jahre alte geologische Formation

 

Am Abend steht die kreolische Küche auf dem Programm: Pollo asado, Brathähnchen, dazu als Beilage Moros y Christianos, das Nationalgericht aus Reis mit Bohnen und plátanos, Kochbananen. „Rindfleisch und Hummer dürfen wir nicht servieren“, klärt Manuel auf. Eine der zahlreichen staatlichen Auflagen für die privaten Restaurants. Gegen einen flan, katalanischer Karamellpudding, hat die Regierung allerdings nichts einzuwenden. Dann die Krönung: Ein Glas vom braunen kubanischen Rum. „Muy rico“, lobt Manuel seinen 15 Jahren alten Tropfen. Dazu darf eine cohiba, Manuels besondere Tabakempfehlung, natürlich nicht fehlen. Irgendwann holt der Gastgeber eine kleine Holzkiste hervor, darin Briefe und Postkarten aus der ganzen Welt. Stolz zeigt er bewegende Zeilen aus Sydney, Tokio, Vancouver, Berlin oder Florenz. Alle wollen nur eines: Bald wieder eine Zeit im Haus von Blanca und Manuel verbringen – und Leben im Rhythmus gerauchter Zigarren, voller Genuss und ganz ohne jeden Plan.

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