Was Hurrikan Katrina alles angerichtet hat, erkennt man nicht auf den ersten Blick. Erst wenn die Bewohner ihre Geschichten erzählen, wird das Ausmaß der Katastrophe greifbarer. Trotz allem huldigt jeder dem alten Lebensgefühl des Big Easy – so als wäre nichts geschehen.
Von den Balkonen aus werfen sie ihre bunten Plastikketten in die Menge. Es ist Freitagabend auf der Bourbon Street, im Herzen des French Quarter, Downtown New Orleans. Eng an eng drängelt sich die feierlustige Schar durch die Amüsiermeile. Aus den Musikkneipen und Clubs dringen Jazz und Blues, Cajun und Zydeco, Soul und Funk in die lauwarme Nacht. Vor den Balkonen bilden sich Trauben von Menschen, sie schreien und kreischen, jeder möchte auserkoren sein, einen Sympathiebeweis erheischen, einen witzigen Dialog führen.
Diese alte Mardi-Gras-Sitte des Anbändelns ist in New Orleans ungebrochen, genauso wie die ganze Stadt feiert als gäbe es etwas nachzuholen. „Immerhin gab es über einen Monat lang keinen Strom, keine Air Condition, nichts dergleichen“, erinnert sich Bonnie Warren, die Chefin vom Brennans, dem traditionellen Frühstücksrestaurant in der Royal Street. „Aber überschwemmt war das French Quarter nicht“, sagt die Mittfünfzigerin und senkt ihren Blick , denn sie hat erlebt, wie es am 19. August 2005 in den stark betroffenen Gebieten zuging, als der Wirbelsturm Katrina über die Stadt fegte. Strommasten knickten um, zerborstene Fensterscheiben auf den Straßen, flüchtende Menschen – „es war wie im Film“, sagt Warren, „einfach unvorstellbar.“
Weit mehr als eine Million ergreifender Geschichten kursieren seit Katrina, bemerkt der Journalist Chris Rose in seinem Tagebuch „One Dead in Attic“, Ein Toter auf dem Dachboden. Und jeder will sie loswerden, wie eine Ware, die es zu verkaufen gilt. „Es hilft den Menschen, nicht an den Bildern zu ersticken“, schätzt Warren die positive Wirkung des Erzählens. Ein Grund, warum jeder der angestellten Kellner im Brennans wieder zurückgekehrt ist. Hier können sie den Gästen von ihren persönlichen Katastrophen berichten. Wie Ron Jader, der Haus und Dach verlor und nach zwei Monaten wieder im Brennans servierte. Er liebt seine Stadt und hofft auf eine bessere Zukunft. Immerhin zählt die Stadt bereits heute knapp 300.000 Einwohner, damit liegt die Quote der Rückkehrer bei über 60 Prozent.
Zurückgekehrt ist auch Christine DeCuir. Nach mehreren Monaten, die sie in Wohnwagen verbrachte, kann sie endlich ihr Haus im Arbeiterviertel Lower Ninth Ward im Südosten der Stadt wieder beziehen – die mit am stärksten verwüstete Gegend. Der Damm eines der Hauptkanäle der Stadt, des Industrial Canal, brach am Rande des Viertels großflächig an zwei Stellen. Die Folge: Das Viertel überflutete vollständig mit Wasserständen von bis zu sechs Metern. „Das Haus war voll mit stinkendem, morastigen Boden, doch dank der vielen Volunteers, den Freiwilligen sowie Nachbarn und Freunden haben wir es wieder bewohnbar gemacht“, berichtet Christine erleichtert.
Brad Pritt Projekt gibt Hoffnung
Anders als viele ihrer afroamerikanischen Nachbarn mit geringem Einkommen, hatte sie ihr Haus gegen Hurrikan-Schäden versichert. Und die Versicherung zahlte auch. Dagegen warten Zehntausende von Katrina-Opfern weiter in ihren Trailern auf die Zahlungen der Versicherungen oder auf staatliche Leistungen aus dem Hilfsfond. Andere wollen zurück, können aber nicht, weil ihnen die Mittel fehlen. So schlagen sich viele in Houston, Baton Rouge oder Atlanta durch während ihr Viertel weiter verwaist.
Nicht ganz, denn Christine erzählt vom Brad Pitt Projekt gleich in ihrer Nachbarschaft – „Make it Right“ heißt das Wiederaufbauprojekt, bei dem 150 Öko-Häuser für die Opfer von Katrina errichtet werden sollen. Der Slogan solle alle Mitwirkenden auffordern, die richtigen Schlüsse für die Zukunft des Stadtviertels zu ziehen, erklärt Christine. So werden die Häuser nach ökologischen Kriterien erbaut, resistent gegen Hochwasser und Stürme und vor allem für die Bewohner erschwinglich sein. Je Haus sind 150.000 Dollar zu berappen, Hollywood-Star und bekennender Fan der Südstaatenmetropole Pitt kurbelte das Projekt bereits mit fünf Millionen Dollar an.
Pitt weiß, wie wichtig ein schlüssiges Aufbaukonzept besonders in diesem Viertel ist, betont Christine. Immerhin sei das Lower Ninth Ward seit jeher die Heimat vieler Musiker wie etwa Fats Domino und anderer Vertreter, die die Kultur der Stadt prägten. Bereits Anfang 2006 habe eine Gruppe von Musikern die Initiative ergriffen, einen Teil der Bevölkerung wieder hier anzusiedeln – es entstand das Musicians Village im Upper Ninth Ward. „Nur so können wir unseren unverwechselbaren Charme behalten“, ist sich die jugendlich wirkende Schwarze sicher.
Christine fühlt sich kraftvoll und zuversichtlich, wenn sie über das Engagement des Leinwandhelden spricht, aber sobald sie schweigt, tritt ihre Traurigkeit zutage. „Wir werden die Bilder nicht so einfach los“, bringt Jeff, ein guter Freund, die Situation auf den Punkt. Die Berge von Kühlschränken und elektrischen Geräten, die sich überall zu einem Friedhof häuften, die bis zu 25.000 Menschen im überfüllten Superdome, die auf ihre Evakuierung warteten, die mangelnde Versorgung: „Niemand konnte die Straßen im Bezirk befahren, überall Trümmer, Scherben und Unrat“, manche Gegenden seien schier nicht erreichbar gewesen, erinnert sich Jeff. „Es war wie das Ende der Welt.“
Mardi Grass steht für den multikulturellen Charakter
Umso erstaunlicher wie schnell die Menschen wieder Zuversicht gewonnen haben. „Das ist einzigartig und hat mit der Mentalität der Bewohner zu tun“, weiß Christine. Und mit der Geschichte der Stadt. Nirgends in den Vereinigten Staaten ist der französische, spanische und kreolische Einfluss so stark wie in der Südstaatenmetropole. Straßennamen, Architektur, die kulinarischen Köstlichkeiten und die traditionellen Feste wie Mardi Grass prägen den multikulturellen Charakter der Stadt am Mississippi. Allein im vergangenen Jahr kamen gut 800.000 Menschen und feierten ausgelassen Mardi Grass. In diesem Jahr hat sich wieder ein Ehrengast der Endymion Parade angekündigt – das verspricht noch mehr Andrang. Und anders als sonst in den Vereinigten Staaten darf der Besucher sein Bier auf offener Straße trinken und wer rauchen will, erhält sogar Feuer an der Bar.
Beim Bummel durch das unter Denkmalschutz stehende French Quarter lebt der Charakter der City wieder auf. An den Häuserecken, vor Lokalen auf Plätzen jubiliert die Klarinette, posaunt die Trompete, spielt die E-Gitarre eine Ballade und der Jazz setzt Armstrong ein tägliches Denkmal. Künstler malen ihre Bilder, Kunst- und Designerläden zeigen ihre anspruchvolle Ware, im Café du Monde schlürfen sie auf französische Art Cafe, die New Orleans Saints spielen wieder ihre Football-Games im Superdome, im edlen Commander’s Palace im vornehmen Garden District finden jeden Sonntag wie seit und jeh die Jazzbrunchs statt und auf den schmiedeeisernen Balkonen der meist zweigeschossigen Häuser genießt man das Abendrot – die Leichtigkeit des Seins in ihrer einmaligen Südstaatenmanier.
Mehr Informationen
New Orleans Convention and Visitors Bureau, 2020 St. Charles Avenue, New Orleans, Louisiana 70130
www.neworleanscvb.com
Fremdenverkehrsamt Louisiana/New Orleans
c/o Wiechmann Tourism Service GmbH, Scheidswaldstr. 73, 60385 Frankfurt,
Tel. 069/25538270, info@neworleans.de
www.neworleans.de
Restaurant
Brennan’s: 417 Royal Street, New Orleans, LA 70130
Telefon: (504) 525-9713
www.brennansneworleans.com
Galatoire’s: 209 Bourbon Street, New Orleans, LA 70130
Telefon: (504) 525 2021
www.galatoires.com
Mardi Gras
Mardi Gras (französisch, wörtlich Fetter Dienstag) ist der Tag vor Aschermittwoch und bezeichnet den Höhepunkt der mehrtägigen Karnevalsveranstaltungen, die mit Umzügen an diesem Tag enden.
www.mardigrasneworleans.com/mardi-gras-2014.html
French Quarter Festival
150 Musik-Veranstaltungen an vier Tagen rund um das French Quarter
Nähere Informationen unter: www.fqfi.com