Wer für ein Wochenende in die spanische Hauptstadt reist, ist gut versorgt mit Kunst und Kultur und der Gabe der Madrilenen die Nacht zum Tag zu machen.
Dutzende von Kleingruppen drängen sich durch die Gassen rund um die Plaza Santa Ana, aufgeregt redend, hemmungslos lachend, wild gestikulierend. PKWs und Taxis bewegen sich im Schneckentempo, vor den Bars und Diskotheken bilden sich lange Schlangen. Es ist drei Uhr morgens in der Nacht von Freitag auf Samstag. „Das ist ganz normal“, sagt Manuel Martínez, „viele finden erst gegen zehn oder später nach Hause.“ Der gebürtige Andalusier aus Granada lebt seit den 70er Jahren in der Hauptstadt und ist irgendwann aus dem Zentrum hinaus an den Stadtrand gezogen auf der Suche nach mehr Ruhe, wie er lächelnd zugibt.
Als Anwohner verständlich, für den Besucher hingegen ist es faszinierend, was gemeinhin unter dem Begriff „la marcha“ – der Rhythmus – bekannt ist. Einfach ein Dosenbier an einem der mobilen Stände gekauft, vor einem Kaufhaus, einer Bankfiliale oder einem Kino den Blues-Klängen von Straßenmusikern gelauscht – geradezu spielerisch passt man sich der marcha an und ertappt sich bei dem Gedanken am liebsten komplett dem Treiben hinzugeben – nur einmal, nur heute nacht.
Wenn da nicht das ebenso attraktive Tagesprogramm wäre. Wie etwa das weltberühmte Museo del Prado, gelegen auf der gleichnamigen Prachtallee Paseo del Prado aus dem 18. Jahrhundert. Werke von Velázquez und Goya sowie eine umfangreiche Sammlung von Gemälden der italienischen, flämischen und englischen Schulen des 12. bis 19. Jahrhunderts machen das Prado zu einer der größten Pinakotheken weltweit. Oder die Privatsammlung der Familie Thyssen-Bornemiza, die der spanische Staat für rund 265 Millionen Euro Anfang der 1990er Jahre in einem Palast ebenso am Paseo de Prado untergebracht hat. Exponate aus der gesamten Kunstgeschichte vermitteln einen eindrucksvollen Überblick über die verschiedenen Epochen und ihrer Interpreten. Von der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts bis hin zu Werken des Impressionismus und Expressionismus wie etwa Monet oder van Gogh, George Grosz, Picasso oder Kandinsky erwarten hier den Besucher.
Ein besonderes Ereignis für Kunstliebhaber ist das Centro de Reina Sofia. Unweit des Bahnhofs Atocha gelegen ist das vollständigste und weltweit am besten besuchte Museum für zeitgenössische Kunst in einem ehemaligen Krankenhaus untergebracht. Mondän und eindrucksvoll der Eingangsbereich gelangt man über außenseitig angebrachte Glasaufzüge, die einen Blick auf die Skyline der Hauptstadt gewähren, in das vierte Geschoss. Hier liegt dem Kunstinteressierten die nach Themen geordnete Sammlung der spanischen Kunst des 20. Jahrhunderts zu Füßen. Exponate von Picasso – in seiner frühen Epoche – Solana, Juan Grís, Miró oder Dali weisen den Besucher in chronologischer Reihenfolge durch die Epoche. Höhepunkt der Ausstellung ist das monumentale Werk Picassos – Guernica – aus dem Jahre 1937. Eine breite Menge Kunstliebhaber aus aller Welt umlagert das Gemälde ehrfürchtig und lässt sich von seiner außergewöhnlichen Kraft inspirieren.
Von der Plaza de los Cibeles, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt der kastilischen Metropole, geht es durch die Gassen und Plätze des sogenannten Literatenviertels, benannt nach spanischen Schriftstellern unterschiedlichster Perioden. „Die Straßennamen prangen auf Keramik in dazu passender Schriftform “, verweist Manuel auf ein charakteristisches Detail. Die Gassen sind eng, Autos fahren hier nur mit Sondergenehmigung. Einer von vielen Hinweisen, die der kundige Stadtführer – einer von rund 150 geprüften in der Stadt – dem Besucher die Metropole nahe bringen. Zu jedem Winkel, jeder Bar, jeder Plaza eine passende Anekdote. So erfährt der Madrid-Reisende auch, dass von den einstigen Monumenten aus dem 17. Jahrhundert kaum noch etwas übrig geblieben ist. Im 19. Jahrhundert sei vieles neu errichtet und mondäner gebaut worden, berichtet Martínez. An manchen Orten erinnert nur noch der Straßenname an eine untergegangene Epoche. Etwa die Plaza de la Puerta Cerrada, ein verschließbares Tor, mit dem sich im 16. Jahrhundert die Einwohner Madrids vor der außerhalb der Stadtmauer wohnenden Moslems schützten.
Die Plaza Santa Ana ist wie ein Magnet – sie entfaltet einen ganz besonderen Charme. Wie eine Oase des Müßiggangs wirkt sie in der hektischen Drei-Millionen-Stadt. Eine kleine Band leitet mit karibischen Rythmen den Abend ein, spielende und rennende Kinder wohin man sieht, Losverkäufer predigen den nahen Gewinn. Wie der Kopf dieses großen Areals ragt das Teatro Español erhaben heraus, umgeben von einem Meer von Stühlen, die den Plaza in alle Richtungen säumen. Ein Glas Tinto – Rotwein – oder ein kühles Bier mit dazu gereichten Oliven lassen das Treiben noch eindrucksvoller erscheinen.
Über weitere kleine Plätze vorbei an dutzenden weiterer Cafés und Bars mit einladendem Flair gelangt man zur guten Stube der Hauptstadt – der Plaza Mayor mit ihren einzigartigen Säulengängen. Auf diesem „Schauplatz der Stadt“ mit der Junta Municipal del Distrito Centro, dem Bezirksrathaus der Altstadt, herrscht geschäftiges Durcheinander – Musiker, Maler und Künstler aller Art zeigen ihr Können. Im weiten Rund laden unzählige Bars zum Verweilen ein. Das Herzstück der Stadt gilt als städtebauliches Werk der Habsburger schlechthin. Am 15. Mai 1620 wurde der Platz offiziell von Philipp III eingeweiht – seither findet an diesem Tag ein großes Stadtfest statt. Zu seinem Gedenken steht in der Mitte des Platzes ein großes Reiterstandbild.
Durch den Arco de los Cuchilleros, einem der typischen Tore, durch die man die Plaza verlassen kann, gelangt man in ein idyllisches Carrée, in dem vor allem Restaurants angesiedelt sind, darunter auch das älteste seiner Art aus dem Jahre 1725 – das Botin, berühmt für seine kastilischen Spezialitäten. Weiter durch die Calle Mayor, der einst wichtigsten Straße im Madrid der Habsburger, vorbei am Opfermonument für die Opfer des Attentats auf Alfonso den XIII., „Kurioserweise kamen damals genau 13 Menschen ums Leben“, erklärt Manuel Martínez ein weiteres Detail. Nicht mehr weit ist es nun bis zum Palacio Real, dem Königspalast – der offizielle Sitz des Monarchen. „Hier finden in erster Linie große Staatsempfänge statt“, weiß der Guide. Vis á vis laden eine Reihe exklusiver Restaurants zu vorzüglichen Tapas ein – mit dem Königspalast fest im Visier.
Ein weiterer Höhepunkt im quirligen Zentrum der iberischen Halbinsel ist ein Besuch auf dem Rastro, dem Flohmarkt. „Bis zu 300.000 Menschen drängen sich jeden Sonntag durch die engen Straßen des Viertels Lavapies und La Latina“, sagt Manuel Martínez, „egal bei welchem Wetter.“ Für viele der Standbesitzer sei der Rastro das einzige Einkommen. Kein Wunder, dass alles erdenkliche auf dem Verkaufstisch liegt. Von alten Spielzeugautos, Handys und Hifi-Geräten bis hin zu jeder Art von Kleidung, wie etwa bedruckte T-Shirts, ist hier alles zu haben. Besonders beliebt sind die Stände mit den Kinoplakaten – „hier gibt es Plakate von jedem Film der Welt“, schwärmt Isabel, die seit Jahren nach Madrid reist, um ihre Sammlung zu vervollständigen. Sogar Zelte finden ihre Käufer: damit sie besser Gestalt annehmen, werden sie von Trägern aufgebaut durch die Menge der Besucher getragen.
„Der Rastro ist wie ein Volksfest“, sagt Manuel Martínez und er hat Recht. Am U-Bahnhof „La Latina“ spielt eine Band Klezmer-Musik, an einer anderen Ecke heizen Salsa-Rhythmen ein und in der kleinen Gasse spielt ein alter Mann Dompteur – er lässt einen alten Geißbock auf einer Leiter tanzen.
Nach so viel buntem Treiben ist der Besuch im Retiro-Park geradezu eine Wohltat. Der weite Stadtpark mitten im Herzen der Stadt ist seit jeher die grüne Lunge und Regenerations-Lounge für den gestressten Madrilenen. Aber auch hier gibt es mehr als nur den Park. Exotische Bäume, ein See, palastartige Gebäude, wie den palacio de cristal, der 1887 als Gewächshaus für eine Kolonialausstellung gebaut wurde. Spontane Musikgruppen und ein Büchermarkt, auf dem Autoren ihre Bücher eigens signieren, sorgen für vielseitige Attraktionen.
Wer noch nicht genug hat kann sein Madrid- Wochenende mit dem Besuch eines Spitzenrestaurants krönen. Im NoDo kredenzt der Koch Delikatessen, die ihresgleichen suchen. Bei einem Tinto und ruhiger Atmosphäre lassen sich die Tage genüsslich Revue passieren.
Mehr Information
Consorcio Turístico de Madrid
Calle Jorge Juan, 35
28001 Madrid, Spanien
Tel.: 0034/91/4264285
Auflugs-Tipp
Fahrt nach Aranjuez mit seinen großzügigen Garten und Parkanlangen: 48 km südlich von Madrid, z.B. mit dem tren de fresas, dem sogenannten Erdbeerzug. Näheres im Consorcio Turístico
Flamenco
Las Tablas
Plaza de Espana, 9
28008 Madrid
Tel.: 0034/91/5420 520
www.lastablasmadrid.com